Sonntag, 31. Juli 2011

Henry The Swiss



Das ist Heini Dommann alias Henry The Swiss. Das Foto gehört eigentlich verboten, aber ich habe kein besseres hinbekommen mit meinem Handy in der Abenddämmerung.

Wir sitzen vor seinem Haus mitten in Marsabit, Henry spendiert ein Bier und erzählt mir vom Leben in der kenianischen Wüste. Vor 31 Jahren blieb Heini Dommann nach einem Einsatz als Entwicklungshelfer hier hängen. Heute ist der gelernte Feinmechaniker aus Basel Bau- und Transportunternehmer, Schreinermeister, Landwirt und vor allem Arbeitgeber. Dutzende Familien in Marsabit leben von der Arbeit in Dommanns Betrieben. Er baut und renoviert Häuser, Schulen, Kirchen, Küchen, produziert Möbel und transportiert alles, was es hier zum Leben braucht. Im Moment vor allem Wasser. 50 Kilometer Sandpiste liegt das Bohrloch entfernt, das die Stadt mit Trinkwasser versorgt. Dommann gehört zu den wenigen in der Stadt, die in der fruchtbaren Jahreszeit Heu produzieren, um sein Vieh, ein paar Kühe und Ziegen, auch in längeren Dürreperioden über dir Runden zu bringen. Mit seiner einheimischen Frau hat er sieben, teils erwachsene Kinder. Die Söhne arbeiten im Betrieb mit oder in "Henry's Camp", einer einfachen Lodge mit Unterkünften, Wasch- und Kochgelegenheiten, in der vor allem die gelegentlichen Langstrecken-Travellers mit ihren wüstentauglichen Motorrädern absteigen. Denn Marsabit liegt an der klassischen Transafrika-Route von Kairo nach Kapstadt.

Henry The Swiss gehört nicht zu denen, die die aktuelle Katastrophe noch heisser reden, als sie schon ist. Wo es gar kein Wasser gibt, gibt es auch keine Menschen, sagt er. Das Leben hier sei schon immer hart gewesen, es habe immer wieder Dürreperioden gegeben, und die Menschen hätten schon immer viel Aufwand treiben müssen, um an Wasser heranzukommen. Diesmal aber sei es anders, härter, der Regen bleibe seit Jahren aus, das habe auch er noch nie erlebt: Die Tiere der Nomaden gehen ein, eines nach dem andern. Und wenn die Tiere tot sind, sind die Menschen dran. Deshalb bekommt von den spärlichen Wasserrationen in mancher Hirtenfamilie oft das Vieh das meiste ab.

Es ist mittlerweile finstere Nacht und ich mache mich auf den Weg in meine Unterkunft. Zum Abschied wird Henry noch ein Anliegen los: Helft den Hirten und Nomaden. Aber richtig. Einfach nur Wasser, Mais und Bohnen liefern und adieu, das hilft vielleicht um kurzfristig zu überleben. Aber nicht auf Dauer. Helft den Leuten da draussen zu kapieren, dass auf die Jahreszeiten kein Verlass mehr ist und zeigt ihnen auch, was sie selber tun können, um eine nächste schwierige Zeit überstehen zu können.

Freitag, 29. Juli 2011

Das Klima-Domino

Wäre ich Lehrer und wollte ich meiner Klasse die gegenwärtige Katastrophe am Horn von Afrika erklären, geriete die Stunde wohl zu einer Lektion über den Klimawandel. Ich würde ein Dominospiel auspacken und die Steine hochkant in einer Reihe aufbauen.



Der erste Stein ist das Klima. Seit drei Jahren hat es in der Katastrophenregion nicht mehr richtig geregnet. In einigen Gegenden, zum Beispiel in Marsabit, wo ich mich zurzeit aufhalte, sind es vier Jahre. Ich tippe mit dem Finger auf Stein eins und lasse das Klima kippen. Der Stein drückt auf den nächsten, die Erde. Diese trocknet infolge der Klimaveränderung aus. Das Wasser wird knapp und knapper, es wächst kein Gras mehr für das Vieh. Nächster Stein.



Die Herden finden kein Futter mehr, werden schwach und müssen gleichzeitig immer längere Distanzen zurücklegen, um an ein paar dürre Halme zu kommen. Kühe, Ziegen und Schafe werden krank, gebären keine Jungtiere und geben keine Milch mehr. Schliesslich gehen sie ein. Massenhaft. Ist keine Milch mehr da, nächster Stein, hungern Kleinkinder und alte Menschen, die sich hier seit Menschengedenken fast nur von Milch ernähren. Nächster Stein. Tote Tiere kann man nicht verkaufen, bringen also kein Geld. Ohne Geld können die Menschen nichts Essbares kaufen. Keinen Mais, keine Bohnen, kein Öl und auch nicht - siehe Stein Zwei - das teuer gewordene Wasser, das - siehe Stein Eins - nun von weit her geholt und immer öfter auch bezahlt werden muss. Unnötig zu erwähnen, dass auch in dieser Katastrophe die Preise für Lebensmittel horrend angestiegen sind und sich teilweise schon verdoppelt haben.

Der Klimawandel mit seinem zerstörerischen Dominoeffekt ist hier in Afrika keine ideologische Frage, sondern längst die brutale Realität und ein Wettlauf von Millionen Menschen um Leben und Tod.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Der Prinz von Bayern

In Marsabit gibt es keine Hotels. Ich wohne dennoch einigermassen komfortabel im Guesthouse auf dem Gelände der lokalen Pfarrei. Heute habe ich hier mit dem Prinzen von Bayern gefrühstückt. Allerdings erkannte ich Franz Joseph, den Urenkel des letzten bayrischen Königs, Ludwig III. nicht als solchen und hielt den unauffälligen Mann mit langer Mähne und markantem Schnauz zuerst vielmehr entweder für einen Hippietramper oder einen der wenigen weissen Missionare der Gegend hier (weshalb ich auch nicht gleich ein Foto schoss und mich hier mit einer Aufnahme von Hans Albrecht Lusznat behelfe).



Die zweite Einschätzung stimmte haarscharf. Franz Joseph ist Missionar. Und zwar schon seit 30 Jahren. Seine Station liegt in Ileret, am äussersten Westzipfel der Provinz Marsabit, direkt an der äthiopischen Grenze. Father Florian ist Benediktinerpriester. Wer dies nicht weiss, kommt auch kaum drauf. Denn Pater Florian kann auch ganz weltlich. Den vielen NGOs im Land steht er skeptisch gegenüber. Er kritisiert die mangelnden Visionen für Afrika und befürchtet, dass die derzeitige Dürre dazu führen könnte, dass aus den Nomadenvölkern im Norden Kenias sesshafte Bauern gemacht werden. Das wäre katastrophal, sagt der Pater und hofft, dass mit der Hilfe im Dürregebiet die Selbständigkeit und ökonomische Autonomie der Menschen gestützt und gefördert wird. Pater Florian hält beispielsweise nicht viel von Lebensmittelverteilungen. Stattdessen fordert er Projekte, die den Menschen ermöglichen eigenes Geld zu verdienen, das wiederum für den Kauf von Lebensmitteln eingesetzt werden kann. Dieser Ansatz entspricht ziemlich genau auch der Philosophie von Caritas und den Projekten, die wir hier vorantreiben. Die Menschen in dieser kargen Gegend, wo nichts Essbares wächst, haben ihre Lebensmittel schon immer mit dem Erlös aus der eigenen Arbeit, der Viehzucht, gekauft. Die Dürre hat den Menschen mit dem Wegsterben der Viehbestände nun diese Möglichkeit genommen.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Turbi

Turbi liegt 130 Kilometer nördlich von Marsabit und ist einer der letzten Orte vor der äthiopischen Grenze. Stammesfehden führten hier 2005 zu einem Massaker, über das damals sogar in Europa berichtet wurde. Heute ist Turbi ein friedlicher Ort. Die Menschen hier sind arm und lebten schon vor der Dürre in einfachsten Verhältnissen.



Die einzige Einkommensgrundlage ist die Viehzucht. Kamele, Kühe, Ziegen, Schafe.



Herden wie diese gibt es kaum noch. Seit vier Jahren hat es in Turbi nicht mehr geregnet. Und wenn das Wasser ausgeht, sterben die Tiere als erstes. Oft brechen sie aus Erschöpfung zusammen. Die Hirten können nichts für sie tun und lassen sie liegen. Die einzigen, denen es hier gut geht sind Geier und Raben.



Kein Vieh, das sich verkaufen lässt, bedeutet auch kein Geld für Wasser und Lebensmittel. Die kenianische Regierung liefert deshalb auch nach Turbi Trinkwasser zum Nulltarif. Theoretisch. Praktisch fehlt aber meist das Benzin für den Transport des Wassers. Und wenn es dann einmal Wasser gibt, ist es viel zu wenig.



Und so bleibt nichts als der beschwerliche Weg zum nächsten Grundwasserbrunnen. Für die Frauen von Turbi bedeutet dies 40 beschwerliche Kilometer Fussmarsch, zwanzig hin und zwanzig zurück. Denn das Wasser gehört zum Haus. Und für das Haus sind auch in Kenia die Frauen zuständig.

Dienstag, 26. Juli 2011

Business as usual in Nairobi



In Nairobi ist von der gigantischen Hungerkatastrophe ein paar hundert Kilometer nordöstlich der kenyanischen Hauptstadt nichts zu spüren. Die Shopping-Malls, Lebensmittelläden und Märkte sind für die, die Geld haben wie eh und je prall gefüllt mit allem, was man für ein schönes Leben braucht, und auch nicht braucht. Die lokalen Medien berichten nur sehr spärlich über das Leiden und Sterben an den Grenzen zu Somalia und Aethiopien. Es regnet in Nairobi und das Wasser in meinem Guesthouse fliesst aus allen Hähnen. Ich nehme eine ausgiebige Dusche, vielleicht die letzte der nächsten Tage und mache mich bereit für den zweistündigen Flug in der Sechssitzer-Propellermaschine nach Marsabit. Marsabit ist ein kleines Städtchen im Norden, Richtung Äthiopien, und Hauptort der gleichnamigen Provinz. Dort wollen wir in den nächsten Tagen ein Hilfsprogramm für die ansässige kenyanische Bevölkerung starten, die von der grossen Dürre ebenso betroffen ist wie die zu Hunderttausenden nach Kenia flüchtenden Somalier. Wenn immer technisch möglich werde ich in den nächsten Wochen hier darüber berichten. Schauen Sie wieder rein.